Die Medizin
(Mindener Tageblatt vom 13.10.1990 - www.mt.de)

Ein alter Winzer aus Wein-Franken, der es nach Meinung des Arztes nicht mehr lange treiben würde, erbat sich als letzten Wunsch einen Schoppen vom besten Tropfen aus seinem Weinberg.

Seine Frau holte mit vielen Bedenken einen Bocksbeutel aus dem Keller. "Aber nur ein halbes Viertele, mehr net! Wär' besser, du tätst dich an die Medizin halte!"

Der Winzer war anderer Meinung. Er kostete andächtig das gute Eigengewächs. Seine Züge verklärten sich. Nach längerem Unterhandeln wurde ihm noch "e halbes Schöpple" bewilligt. Seine Ehehälfte schüttelte ärgerlich den Kopf: "Hast jetzt wirklich keen' andern Gedanken!"

Er lächelte stillvergnügt. Als sein um sein Seelenheil besorgtes Eheweib aus der Stube gerufen wurde, ergriff er schnell den Bocksbeutel und schenkte sich das zweite Viertel ein. Mit jedem Schluck meldeten sich seine Lebensgeister deutlicher.

Er wollte eben ein drittes Mal den dunkelgrünen Flaschenhals umfassen, da kam seine Frau zurück, warf einen vernichtenden Blick auf den Zecher im Bett und sagte erbost: "Ja - wie ham wir's denn? Werd jetzt g'storbe - oder g'suffe?"

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